Nachhaltigkeit ist in aller Munde – aber die wenigsten Unternehmen haben ihre Wirtschaftstätigkeit und Governance bereits auf die neuen Vorgaben angepasst. Der Transformationsprozess ist zwar vielerorts bereits eingeleitet – in zahlreichen Branchen ist Umdenken angesagt – der Prozess wird sich jedoch über mehrere Jahre hinweg erstrecken.
Dabei geht es für Unternehmen nicht nur um Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte, sondern v.a. auch um Wege zur Kapitalbeschaffung. ESG ist damit eine Frage sowohl der Produktnachhaltigkeit als auch der Refinanzierung. „Große” Emittenten werden verpflichtet, über die Nachhaltigkeit ihrer Wirtschaftstätigkeiten zu berichten, und Finanzintermediäre, ihre Kunden über die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten zu informieren. Der Gesetzgeber schafft wirtschaftliche Anreize, nachhaltig zu investieren, und nimmt so Einfluss auf Kapitalströme.
Zwei Regelwerke sind dabei von zentraler Bedeutung: Die Taxonomie und die Disclosure-VO. Erstere definiert, welche Wirtschaftstätigkeiten „grün” sind – sie dient damit insbesondere der Verhinderung von Green-Washing. Zweitere ermöglicht Investoren zu verstehen, in welchem Umfang die von ihnen erworbenen Finanzprodukte nachhaltig sind. Ziel ist es, durch Offenlegung Transparenz und Vergleichbarkeit zu schaffen. Investoren sollen in die Lage versetzt werden, sich in Bezug auf ESG bewusst entscheiden zu können.
Die neuen Vorgaben wirken sich spürbar immer mehr auf das Restrukturierungsumfeld aus. Ob Refinanzierung oder zusätzliche Darlehen – Nachhaltigkeitsaspekte beeinflussen bereits jetzt die Entscheidungen von Banken und anderen Kapitalgebern. Nur wer vorgesorgt hat, hat auch in der Restrukturierung größere Chancen, einen Partner zu finden, der bereit ist, die Fortführung des Geschäftsmodells finanziell zu unterstützen. Wer bislang keinerlei Nachhaltigkeitskonzept umsetzt, wird Finanzierungen künftig teurer bezahlen. Im schlimmsten Fall findet sich gar kein neuer Kapitalgeber.
Noch fehlt es jedoch insbesondere bei vielen kleineren Unternehmen am Bewusstsein für die sich ändernden Anforderungen. Das hat zum einen rechtliche Gründe: die Vorgaben zur Offenlegung der Nachhaltigkeit von Wirtschaftstätigkeiten in der nicht-finanziellen Berichterstattung greifen dann typischerweise nicht. Zum anderen bestand oft bislang auch kein identifizierter Kapitalbedarf und die Unternehmen sind nicht kapitalmarktorientiert – damit besteht keine Notwendigkeit, Optimierungen auf der Refinanzierungsseite zu ergreifen.
Der Ansatz wird jedoch zu kurz greifen: Insgesamt zielt das ESG-Regelwerk nämlich auf die Umlenkung von Kapitalströmen in nachhaltiges Wirtschaften ab. Es geht darum, Wertschöpfungsketten umzugestalten. So werden Banken z. B. (in mehreren Stufen bis 2026) zur Offenlegung einer „Green Asset Ratio” verpflichtet.
Spätestens dann werden Darlehen an und Geschäftsbeziehungen mit Unternehmen, die nicht in der Lage sind, Kennzahlen zur Nachhaltigkeit zur Verfügung zu stellen, mit einer Prämie versehen – teilweise sieht man das schon heute. So haben einige Großbanken in den letzten Monaten bereits ihre Kunden angeschrieben, um Informationen zur Nachhaltigkeit der Wirtschaftstätigkeit zu erlangen.
Mit dem Auslaufen der staatlichen Corona-Unterstützungshilfen wird das Thema auch für kleinere Unternehmen virulent, wenn die Aufnahme von (neuen) Fremdgeldern erforderlich wird. Der Erfolg einer Restrukturierung wird künftig auch bei KMU zunehmend davon abhängen, dass auf Maßnahmen zur Steigerung der Nachhaltigkeit als Teil des Restrukturierungskonzepts geachtet wird. Sanierungskonzepte werden deshalb eine Nachhaltigkeitsplanung beinhalten müssen.
Investitionen, die hierfür getätigt werden, können heute schon als nachhaltig qualifiziert werden und erleichtern es Investoren damit, ESG-Anforderungen in der Restrukturierung zu erfüllen. Dabei ist die Erreichung 100%iger Nachhaltigkeit weder erforderlich noch ggf. geboten. Nach derzeitiger Rechtsentwicklung könnte es vollkommen ausreichend sein, einen Grad der Nachhaltigkeit von lediglich ab 75 % zu erreichen, um im Markt als nachhaltig eingestuft zu werden.
Dieser Text wurde ursprünglich veröffentlicht in: http://www.existenzmagazin.de/